Wie riecht Schönheit?
Mein erstes Kennenlernen mit Patrick Süskinds „Das Parfum“ liegt schon lange zurück. In der Schulzeit haben wir den Roman im Deutschunterricht gelesen und gefühlt ein halbes Jahr lang jeden Absatz bis ins kleinste Detail analysiert. Obwohl ich viele dieser Deutungen längst vergessen habe, war ich damals schon tief beeindruckt. Überraschenderweise konnte ich mich jetzt, bei der erneuten Lektüre über ein Jahrzehnt später, nicht einmal mehr an manche Wendepunkte erinnern und war dadurch beim Re-Read stellenweise genauso gefesselt wie beim ersten Mal.

Der Untertitel verrät bereits, worum es geht: „Die Geschichte eines Mörders.“ Jean-Baptiste Grenouille wird unter denkbar widrigsten Umständen geboren. Seine Mutter lässt ihn, wie zuvor schon mehrere Kinder, nach der Geburt auf einem stinkenden Fischmarkt zurück, doch wundersamerweise überlebt Grenouille. Mit einem nahezu übermenschlichen Geruchssinn ausgestattet, wächst er in wechselnden, harten Verhältnissen auf: zunächst bei einer Amme, dann bei einem Mönch, später bei einem Gerber. Schließlich landet er bei dem Parfümeur Baldini, der ihn zunächst ausnutzt, ehe er ihn weiterziehen lässt.
So ein Zeck war das Kind Grenouille. Es lebte in sich selbst verkapselt und wartete auf bessere Zeiten. An die Welt gab es nichts ab als seinen Kot; kein Lächeln, keinen Schrei, keinen Glanz des Auges, nicht einmal einen eigenen Duft.
Grenouille überlebt alles – Hunger, Erniedrigungen, Krankheit – und wirkt dabei unzerstörbar wie eine „Zecke“. Moral, Gewissen, Religion – all das ist ihm fremd. Ihn treibt nur eins: er will das vollkommenste Parfum der Welt schaffen. Als er erkennt, dass die bekannten Essenzen dafür nicht reichen, beginnt er, Düfte von jungen Frauen zu gewinnen und schreckt vor Mord nicht zurück.
Das Ziel seiner Jagden bestand darin, schlichtweg alles zu besitzen, was die Welt an Gerüchen zu bieten hatte, und die einzige Bedingung war, daß die Gerüche neu seien.
So eindringlich Grenouille im Zentrum steht, so scharf und satirisch sind auch die Nebenfiguren gezeichnet. Ob Amme, Priester oder der Parfumeur Baldini, bei dem Grenouille als Lehrlich tätig ist, – alle empfinden instinktiv Abscheu gegenüber Grenouille, ohne erklären zu können, warum. Wie es sich herausstellt, ist es sein „Nicht-Geruch“: Während er jeden Menschen anhand des Geruchs mühelos identifizieren kann, bleibt er selbst geruchlos – und löst damit Unbehagen bei seinen Mitmenschen aus.
Die Nebenfiguren wirken dabei nicht weniger grotesk als Grenouille selbst: Sie sind habgierig, selbstgerecht, naiv oder moralisch fragwürdig. So etwa Baldini, der alternde Parfumeur, der sein Geschäft schwinden sieht und in endlosen Monologen allen anderen die Schuld dafür gibt: der Gesellschaft, der Politik, dem Fortschritt, nur nicht sich selbst. Als Grenouille bei ihm auftaucht, verpufft auf seine Verzweiflung im Nu und er sieht in dem jungen Mann eine letzte Chance, noch einmal an Bedeutung zu erlangen.
Besonders faszinierend ist Süskinds Sprache. Unglaublich präzise und facettenreich beschreibt er Gerüche – vom ekelerregenden Gestank der Pariser Gassen des 18. Jahrhunderts bis hin zu den zarten, betörenden Düften der Pflanzen. Immer wieder hatte ich beim Lesen das Gefühl, Gerüche regelrecht „in der Nase“ zu haben – und manchmal wünschte ich mir, auf manche olfaktorische Eindrücke verzichten zu können. Dabei bleibt der Roman nie repetitiv: Die Welt der Düfte entfaltet sich so reich, dass man beim Lesen staunt, wie blind die eigene Nase im Alltag eigentlich ist.
Die Vielschichtigkeit des Romans ist beeindruckend. ”Das Parfum” ist nicht nur die Geschichte eines Mörders, sondern auch eine scharfsinnige Studie über Wahrnehmung, Macht und Manipulation. Es zeigt, wie sehr Menschen bereit sind, sich von Äußerlichkeiten, zum Beispiel von einem Duft, verführen zu lassen, und wie schnell ihr Egozentrismus und Heuchlerei mit der moralischen Verwerflichkeit Grenouills, einem Mörder, konkurrieren.
Fazit
Die erneute Lektüre hat meine jugendliche Begeisterung nicht nur bestätigt, sondern noch gesteigert. “Das Parfum” ist ein Meisterwerk – spannend, tiefgründig, satirisch und sprachlich brillant. Für mich gehört er nun endgültig zu meinen liebsten Klassikern und bekommt einen festen Platz in meinem Bücherregal.
Noch ein Tipp zum Schluss:
Das Hörbuch, gelesen von Hans Korte, ist unbedingt empfehlenswert. Hans Korte setzt dabei sehr gelungen das Satirische, aber auch das Düster-Faszinierende in Paris des 18,Jahrhunderts um.
2 Antworten auf „[Rezension] Das Parfum – Patrick Süskind“
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