Es war unmöglich, an diesem Buch vorbeizukommen. Gefühlt jeder hat es auf social media schon gelesen, aber auch im Buchhandel war es sehr präsent. Kein Wunder, bemerkenswerte 11 Wochen stand Tahsim Durguns autobiographisches Buch auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste. So hat mich doch die Neugierde gepackt und ich griff zum Hörbuch. Den Autor kannte ich nicht – auch nicht, dass er auf TikTok über eine halbe Million Follower hat.

Tahsim Durgun beschreibt in seinem Buch den Eingliederungsversuch seiner Familie in eine geschlossene Gesellschaft, so viel verrät schon mal der Untertitel. Er erzählt von seiner Schulzeit, von Behördengängen, von Vorurteilen und Schwierigkeiten, denen er und seine Familie, insbesondere seine Mutter, die kein Deutsch spricht, ausgesetzt waren. Tahsim und seine 3 Geschwister fungieren oft als Übersetzer und begleiten die Mutter nicht selten auch zu Arztterminen.
Besonders eindrücklich fand ich die Szene in der Ausländerbehörde. Als die Familie ihre Hoffnung auf einen wohlgesinnten Sachbearbeiter setzt – denn von seinem Urteil hängt ab, ob sie in ihrem Geburtsland bleiben können. Durgun kritisiert deutlich die Unzulänglichkeiten der deutschen Behörden und der Bürokratie. „Sogar ein Hund bekommt schneller einen Pass“, scherzt er.
Durgun spart nicht mit Kritik. Sei es die Schule mit lieblosen Förderstunden und unfreundlichen Lehrern, die Ärzte, die Sachbearbeiter beim Ausländeramt oder die hochnäsige Eltern der Mitschüler – allen fehle es an Empathie, Feinfühligkeit oder der Bereitschaft, Menschen mit Migrationshintergrund wirklich verstehen zu wollen. Stattdessen begegnen sie ihnen mit Vorurteilen und suchen Bestätigung für ihr Schubladendenken.
Spannend fand ich die immer wieder eingestreuten Details der Kultur und Eigenheiten der Familie: dass die Teekultur einer kleinen Therapie gleicht, die das Seelenwohl wieder in Ordnung bringt. Oder wenn Tahsim russische mit türkischen Sonnenblumenkernen vergleicht. Oder seine Beobachtung über die „Blutdruckmessgerät-Liebe“ vieler Menschen mit Migrationshintergrund. Diese Passagen waren für mich interessant und amüsant. Leider ist es auch schon alles, was ich Positives über das Buch sagen kann.
Was mich besonders gestört hat, ist dieser innere Widerspruch: Durgun kritisiert, dass die deutsche Gesellschaft seiner Familie mit Vorurteilen begegnen, Empathie vermissen lassen und in Klischees denken. Gleichzeitig greift er selbst zu denselben Mitteln – er teilt die Welt in „wir“ und „die“ und beschreibt Deutsche in überzeichneten Stereotypen. So entsteht weniger eine differenzierte Auseinandersetzung, sondern eher ein Gegeneinander. Besonders auffällig wird das beim „German Smile“, das angeblich typische Lächeln der Deutschen, das wohl dazu gedacht sei, um „weiße Menschen zu besänftigen“. Wahrscheinlich ist diese Beobachtung humorvoll gemeint, auf mich wirkte sie abwertend und böse.
Kennst du das German-Smile? Nein? Das ist dieses breite Grinsen, bei dem man die Lippen nach innen rollt, viel Zahn und Zahnfleisch zeigt und die Augen so fest zusammenkneift, dass es fast wehtut. Eigentlich kommt es einer Drohgebärde gleich, aber in Deutschland funktioniert es, um weiße Menschen zu besänftigen.
Auch bestimmte Personen werden sehr zugespitzt dargestellt: die biedere Lehrerin, die Jack-Wolfskin-tragende Elternvertreterin, die bei der Direktorin petzt. Auch diese Beschreibungen sind weder lustig oder satirisch gelungen, sondern wirkten gehässig und feindselig.
Ich erinnerte mich: Frau B. war die Direktorin – sie leitete diesen Schuppen. Sie war eine schlanke und große Frau, deren Gesicht kaum eine Regung zeigte. Wie eine perfekt gegossene Kerze – eine dieser schicken, mit Perlen verzierten und parfümierten Kerzen, wie man sie bei Action für 2,99 € kaufen kann – stand sie vor uns. Zudem hatte sie ein erstaunlich längliches Gesicht mit hängenden Mundfalten und trug eine dicke schwarze Brille sowie einen feuerroten Bobschnitt.
Es ist wichtig, dass Durgun für Alltagsrassismus sensibilisieren will und seine Geschichte und Erfahrungen teilt. Vor allem spricht er mit seiner Reichweite viele junge Menschen an und darunter sind sicher nicht wenige, die sich in seinen Erlebnissen wiederfinden. Aber was erreicht er wirklich, wenn er das Wort „Kanake“ scharf kritisiert, „Alman“ dagegen herunterspielt? Oder wenn er beim Beschreiben einer Episode, in der eine Gruppe deutscher Jungen auftaucht, diese mit „die Justins“ abkürzt? Gerade in einem Buch, das Empathie einfordert, hinterlassen solche Beschreibungen einen schalen Beigeschmack.
Fazit: Am Ende überwiegt für mich die Enttäuschung: spannend im Ansatz, mit wichtigen Themen, aber ohne die Tiefe, die es gebraucht hätte. Besonders die Perspektive seiner Mutter hätte dem Ganzen mehr Gewicht und Authentizität verliehen.
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