Aufrüttelnd, doch stellenweise sehr pathetisch
Silke Müller, Schulleiterin und digitale Botschafterin in NRW, will mit ihrem 2023 erschienen Buch Wir verlieren unsere Kinder! nicht sanft überzeugen, sondern aufrütteln. Sie warnt eindringlich: Schockvideos, sexualisierte Inhalte und Hass seien längst Alltag auf den Smartphones der Jüngsten.
Ihr Appell ist klar – Erwachsene müssen Medienkompetenz nicht delegieren, sondern vorleben. Ihre Mission ist wichtig, denn die Jugendlichen von heute sind die mündigen Bürger von morgen. Verschwimmen online die Grenzen zwischen Gut und Böse, droht auch offline mehr Brutalität und Aggression.
Dieses Anliegen überzeugt, doch der Ton im Buch ist stellenweise sehr anstrengend: wiederholte Mahnungen und emotionsgeladene Passagen lassen die Situation extrem dramatisch klingen. Dabei wären die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler schon für sich erschütternd genug. Zu oft hatte ich das Gefühl, dass es zu viel Drama ist. Das ist so, wie wenn man längst weiß, dass etwas schief läuft, doch dann liest jemand einem mit schriller Stimme noch einmal die Leviten, sodass man instinktiv abwinkt und sagt: „Locker bleiben – so schlimm ist es doch nicht“, nur um die Stimmung zu retten, obwohl man insgeheim der Person recht gibt. Es ist eben doch auch noch der Ton, der die Musik macht.
Die Lösungsansätze, von denen ich mir bei all dem Drama viel versprochen hatte, kommen erst zum Schluss und werden nur als Aufzählung präsentiert. Lieber hätte ich sie schon im Laufe des Buches gehabt, um diese Ohnmacht beim Lesen gar nicht erst zu spüren, sondern direkt mit passendem Werkzeug ausgestattet und motiviert zu wissen, was zu tun ist.
Dennoch: Silke Müllers Buch ist ein wichtiges Buch, das für jeden lesenswert ist, der Kinder begleitet. Es lohnt sich, aus ihren Erfahrungen zu lernen. Sie macht sich stark für die digitale Ethik, klärt über die aktuellen Gefahren auf und appelliert an die Erwachsenen, dringend die digitale Welt aus der Sicht der Kinder zu erleben und sich dort fortzubilden. Erst dann können wir ihnen auf Augenhöhe begegnen und sie letzen Endes auch vor Gefahren im Netz zu schützen.
Das folgende Zitat bringt es nochmal treffend auf den Punkt:
Wir versuchen den Kindern nahezu von Geburt an zu zeigen, was richtig und falsch, was gut und böse ist. Wir verbieten, warnen und erlauben. Wir erklären unserem Nachwuchs die Funktion einer Ampel, vermitteln, dass man im Straßenverkehr immer nach links und rechts schauen muss, um nicht Gefahr zu laufen, von einem Auto erfasst zu werden. […] Im Netz aber legen wir kaum mehr regeln als Bildschirmzeiten fest und haben es möglicherweise versäumt, selbst Medienkompetenz aufzubauen. Die Gefahren im Netz werden förmlich ausgeblendet, nicht wahrgenommen, ignoriert.

Eine Antwort auf „[Rezension] Wir verlieren unsere Kinder! – Silke Müller“
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